Scarred Memory Hong Kong 1996
Ivy (Veronica Yip, in ihrer letzten Rolle bevor sie die HK-Filmwelt verließ) ist eine eigentlich glückliche Doktorin in einem Hong Konger Krankenhaus. Vor 2 Monaten jedoch wurde sie von einem Mann vergewaltigt, was sie bis heute vergeblich zu verdrängen versucht.
Eines Tages erwischt sie auch noch ihren Geliebten, wie er sie mit einer Krankenschwester betrügt. Immer noch geschockt und traumatisiert passiert ihr am selben Tag eine Fahrlässigkeit, als ein verletzter Gangster, Lung (Simon Yam) in die Notaufnahme kommt. In Folge dessen verschlimmert sich sein Zustand, er fällt ins Koma.
Ivy schmeißt die Arbeit hin und zieht nach Macau, um das Geschehene zu vergessen. Inzwischent kommt Lung mit schwerem Gedächtnisverlust und geistiger Umnachtung zu sich. Ivy trifft ihn zufällig, und beginnt sich um ihn zu kümmern. Sie freunden sich an und es entwickelt sich sogar eine Liebesbeziehung. Dabei hat Lung trotz seiner Harmlosigkeit einige düstere Geheimnisse – und nur eins davon ist seine Triadenvergangenheit…
Das ist also Scarred Memory. Auch Regisseur Raymond Leung, zuvor für Sleazeattacken wie Angel verantwortlich, hat sich scheinbar nach dieser Arbeit aus dem Business zurückgezogen. Was schade ist, denn hier haben wir einen beachtlichen Mix aus Liebesdrama und Psychothriller vor uns. Gespickt mit vielen Flashbacks erfährt der Zuschauer erst langsam die Details über die Vergewaltigungsnacht sowie die Vergangenheit Lungs. Ich nehme an, sein CAT III-Rating hat der Film auch wegen der (doch für westliche Verhältnisse vergleichsweise harmlosen) Vergewaltigungsszene.
Wer nicht gerade völlig verblödet ist (Hi Max!), sollte jetzt eigentlich leicht ahnen können, auf welchen Twist die Story hinarbeitet. Wenn nicht, Achtung Spoiler…
Es war natürlich Lung, der Ivy damals vergewaltigte. Das Thema des Films daher: Kann Liebe die Menschen vergessen lassen? Ivy merkt zuerst, dass Lung es war, trotzdem hält sie an ihm fest. Tatsächlich ist er ein völlig anderer Mensch als damals geworden, will ein ehrliches Leben zusammen mit Ivy beginnen. Nach und nach beginnt aber auch Lung sich an seine Vergangenheit zu erinnern und auch sein Geisteszustand wird klarer.
Das kleine Problem des Films ist jetzt: IMHO entsteht dieser Gewissenskonflikt viel zu spät. Erst so nach ca. über einer Stunde wird Ivy klar, dass Lung sie vergewaltigt hat. Darum wird dieser, eigentlich wichtigste Aspekt des ganzen Films etwas zu kurz und oberflächlich behandelt. Immerhin sehen wir vorher, wie gut die beiden sich anfreunden und können ihr Handeln besser nachvollziehen.
Ansonsten ist Scarred Memory äußerst kompetent inszeniert. Zwar wird Leung die leicht billige Sleaze-Atmosphäre nie wirklich los, doch die vielen, die sonst unauffällige Dramatik durchbrechenden Flashbacks machen es dem Zuschauer immer wieder sehr ungemütlich und heben den Film kilometerweit aus der Masse quietschiger CATIII-Bumsfilmchen heraus. Raymond Leung schafft tolle Kontraste zwischen der sonnigen Idylle Macaus und den düsteren Bildern direkt aus den Gedächtnissen der Charaktere. Die (Synthesizer-)Musik ist recht stimmungsvoll und tritt in den wichtigsten Szenen positiv in Erscheinung. Etwas übertrieben hat es Leung dann schließlich mit dem Ende, das – bei objektiver Betrachtung – zusehr in Richtung Triadenfilm schielt und den Pathosregler auf Maximum dreht. Für sich genommen handelt es sich jedoch um die beste Szene im Film – phantastisch, gar poetisch greifen hier klassische Musik (Ich komm grad nicht drauf, was es ist, kennt aber jeder – wir reden hier von einer Originalorchesteraufnahme!), die tolle Schauspielleistung Simon Yams und zeitlupengestütze Bilder ineinander, um den Film zu einem tragischen, konsequenten Schluss zu bringen. Wäre es Leung möglich gewesen, den ganzen Film auf dieses Niveau zu hieven, hätten wir wohl beinahe von einem Meisterwerk sprechen können.
So bleibt Scarred Memory überdurchschnittlich gutes, charmantes Mittneunziger-HK Kino wie man es liebt. Wer seine Erwartungen nicht zu hochschraubt, hat viel Spaß mit diesem, zwischen allen Genrestühlen sitzenden Film.