Abschied in der Nacht / Das alte Gewehr
(le vieux fusil | frankreich 1975 | robert enrico | dvd: new entertainment world)
Frankreich 1944. Die Deutschen müssen immer mehr Angriffe von Partisanen über sich ergehen lassen. Sie rächen sich an der französischen Zivilbevölkerung. Arzt Julien (Philippe Noiret) will seine Familie aus den Wirren des Krieges heraushalten und versteckt seine Frau (Romy Schneider) und Tochter auf einem Landgut. Als er sie Tage später besuchen will, sind alle tot. Die Frau vergewaltigt und verbrannt, die Tochter erschossen. Statt vor den Deutschen zu fliehen, beginnt Julien einen bitteren Rachefeldzug.
Von den Geschwadern selbsternannter “Antikriegsfilme”, die sich über die letzten paar Jahrzehnte angesammelt haben, können nur die wenigsten von sich behaupten, auf das zivile Schicksal einzugehen. Robert Enricos preisgekröntes Drama Abschied in der Nacht ist eine der Ausnahmen; gleichzeitig bleibt der Krieg selbst hier nicht mehr als finsterer Schatten am Horizont, welcher plötzlich hervorstößt, Zerstörung und Leid hinterlässt, und sich dann wieder zurückzieht. Ein Rahmen, der letztlich austauschbar ist und lediglich die Taten Juliens in einen nachvollziehbaren Kontext setzt. Juliens Rache ist nicht die Rache eines Wahnsinnigen, nichtmal die Rache eines Trauernden, sondern die eines Mannes, dem in einem Moment alles gleichgültig geworden ist. Mit kaltblütiger, methodischer Präzision schneidet er den Deutschen den Fluchtweg ab, tötet sie einen nach dem anderen. Sein eigenes Wohlergehen spielt dabei keine Rolle mehr. Enrico stellt beinahe jeder Mordszene ein Flashback gegenüber, in dem sich Julien an seine Familie erinnert. Aus heutiger Sicht könnte man das für eine billige Methode zum emotionalen Spannungsaufbau halten. Doch vielmehr nutzt Enrico die Flashbacks zur Vertiefung der Beziehung zwischen Julien und seiner Frau – die gar nicht so simpel ist, wie man es vielleicht annehmen könnte.
Noirets schauspielerische Leistung in Abschied in der Nacht wird nicht zu unrecht bis heute vom französischen Kinopublikum als legendär angesehen. Er ist kein strahlender, schöner Held. Er könnte mein Nachbar sein. Zu keinem Zeitpunkt lässt sich Noiret dazu verleiten, der in seinem Charakter aufgestauten Wut und Trauer durch theatralische Gestik Luft zu machen. Romy Schneider kann angesichts derartiger Leinwandpräsenz nicht mehr sein als hübsches Beiwerk. Die deutschen Soldaten bewegen sich dafür oft an der Grenze zur Karikaturisierung, vielleicht gerade deswegen, weil Enrico sie (mit dem wohlmeinenden Anspruch auf Authentizität) mit deutschsprachigen Schauspielern besetzte – so zumindest mein Eindruck. Da ich aber im zweiten Weltkrieg leider nicht dabei war, kann ich nicht genau sagen, inwiefern ihre Darstellung der Realität entspricht.
Mal davon abgesehen ist Abschied in der Nacht einer der eindringlichsten und berührendsten Rachefilme, die ich je gesehen habe, mit einem großartigen Philippe Noiret und wunderschöner Musik. Aber Vorsicht: Stellt euch nach dem Schauen darauf ein, den Rest des Tages deprimiert zu sein.